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Einige Hörbeispiele zur Auswahl (wird gelegentlich ergänzt)

 

Gebaute Interviews

Interview mit Prof. Dr. Heinz J. Bontrup

"In der verfassungsrechtlichen Diktion ist heute letztlich das Kapital, von Menschen produzierte Produktionsmittel, mehr geschützt als der arbeitende Mensch", sagt Prof. Dr. rer. pol. Heinz J. Bontrup, Wirtschaftswissenschaftler an der Fachhochschule Gelsenkirchen, in einem Vortrag auf der DGB Mitbestimmungsmesse im Juli 2011 in Aachen.

 

Interview mit Prof. Dr. rer. pol. Heinz J. Bontrup

 

Gespräch mit Prof. Dr. H.J. Bontrup
KurzFeature von Axel Gauster
© 2011 Axel Gauster / NGG-Region Aachen
Online-Text, Foto und Sprecher: Axel Gauster
Länge: 12:50 Minuten
mp3pro; 9,18 MB
 

"In der verfassungsrechtlichen Diktion ist heute letztlich das Kapital, von Menschen produzierte Produktionsmittel, mehr geschützt als der arbeitende Mensch.“

Sagt Prof. Dr. rer. pol. Heinz J. Bontrup, Wirtschaftswissenschaftler an der Fachhochschule Gelsenkirchen, in einem Vortrag auf der DGB Mitbestimmungsmesse im Juli 2011 in Aachen.
 
Ein ausführliches Gespräch mit ihm zu den Themen Finanzkrise, Kapitalismus, Betriebsverfassungsmodelle, Markt-Liberalismus, Keynes, Parität und über immer mehr Arbeitnehmer als Habenichtse.
 
Habenichtse? Wie das? Ganz einfach.
Menschen produzieren Konsum-, Kapital- und Investionsgüter. Dafür erhalten sie einen Arbeitslohn. Den verbucht der Unternehmer als Kosten. Konsumiert nun der Mensch, so zahlt er den Unternehmern quasi den Arbeitslohn zurück, erhält aber nur das produzierte Konsumgut. Die gleichzeitig mit dem Arbeitslohn erschaffenen Kapital- und Investitionsgüter werden den Unternehmen sozusagen geschenkt. Dadurch werden Unternehmer immer reicher und die Arbeitnehmer bleiben Habenichtse.
Das schrieb sinngemäß Oswald von Nell-Breuning in seinem Buch „Kapitalismus und gerechter Lohn“ bereits im Jahre 1960.1
 
Die Ursachen sieht Prof. Dr. Heinz  J. Bontrup vor allem im sogenannten Neoliberalismus2, die seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts weltweit angewendet wird. „Bis dahin galt eigentlich weltweit der Keynesianismus.3 Der amerikanische Präsident Richard Nixon hat es noch in seiner Neujahrsansprache an das amerikanische Volk 1971 gesagt: Jetzt sind wir alle weltweit Keynesianer geworden“.
 
Im Gegensatz zum Marktliberalismus oder auch Monetarismus, der sogenannten Chicagoer Schule von Milton Friedman stellt sich die Wirtschaftstheorie von J. M. Keynes gegen das „Spiel der freien Kräfte“, gegen das Argument „Der Markt wird es schon richten“. J. M. Keynes will eben, dass die Staatshaushalte und die Bevölkerungen vor Überschuldung und Verarmung geschützt sind, wenn die weltweit agierenden Kapitalunternehmen durch ihre Aktionen negative Auswirkungen verbreiten.
 
Aber wie ist das eigentlich praktisch gelaufen? Wie konnte sich der Marktliberalismus durchsetzen. Antwort: Durch das Umverteilung von Vermögen. Und zwar in großem Stil.
Bezogen auf die Verteilung im Jahr 1993 bezüglich der Bruttolohnquote sind 1,1 Billionen Euro den Arbeitnehmern genommen worden und den Besitzeinkünften zugeflossen.
 
„Weil 2009 die Reichen und Vermögenden für die Finanzkrise nicht zahlen wollten, hat man einen Trick angewendet, eine Umbuchung gemacht. Auf das Konto Staatsverschuldung. Alle Konjunkturprogramme uns so weiter. Hinzu kommt eine extreme, expansive Geldpolitik, zum Beispiel in den Vereinigten Staaten mit einem Leitzins von quasi null. So konnte die kapitalistische Kernschmelze verhindert werden, aber das Konto Staatsverschuldung ist weltweit aufgelaufen“.
 
Die Folgen dieses Handelns sind überall sichtbar. Auch in Deutschland. Immer noch Massenarbeitslosigkeit, ein gigantisches Prekariat, steigende Armut wie noch nie seit Ende des zweiten Weltkrieges, Ausgrenzung von Menschen und gesellschaftliche Spaltungen, die sich in den Unternehmen fortsetzen durch Rand- und Stammbelegschaften.
„Da sehen wir, dass nichts gelernt wurde. Das wir nicht zwei Jahre nach der Krise sind, sondern im vierten Jahr der Krise.“
 
Und das sogenannte Verfassungskapital schützt im Artikel 14 des Grundgesetzes Kapital mehr als den arbeitenden Menschen.
Er fordert, „das wir den arbeitenden Menschen verfassungsrechtlich mindestens genauso stellen, wie wir heute den Unternehmer stellen. Auch über den Artikel 12 – Berufsfreiheit – das eben hier abgeleitet wird die unternehmerische Dispositionsfreiheit. Da würde ich mir wünschen, dass man auch den abhängig Beschäftigten mehr schützt.“
 
Prof. Dr. Heinz J. Bontrup konzentriert sich auf die Analyse der bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse in den kapitalistisch geprägten Gesellschaften und ihre Auswirkung auf die Mitbestimmung. Wobei er betont, dass eine im Grunde fehlende paritätische Mitbestimmung nach dem Vorbild des Montan-Mitbestimmungs-Gesetzes dazu geführt hat, dass die abhängig beschäftigten Menschen immer weniger am wirtschaftlichen Erfolg einer Volkswirtschaft teilhaben. Und auch die betrieblichen Realitäten erschweren es den Betriebs- und Personalräten, ihre Pflichten und Rechte im Rahmen der Betriebsverfassungsgesetze wahrzunehmen. Von der Mitbestimmung im Unternehmen ganz zu schweigen. „Es reduziert sich auf das Soziale. Das kann es ja wohl nicht sein.“
 
Er schlägt ein neues Mitbestimmungsmodell vor. Abschaffung alle bestehenden Betriebsverfassungsgesetze einschließlich der Montangesetzgebung. An ihrer Stelle tritt ein neues Mitbestimmungsgesetz, das absolut nummerisch paritätisch gestaltet ist. Gültig für alle Unternehmen, unabhängig von der Rechtsform und Branche – mit einer Betriebsgröße ab fünfhundert Beschäftigte. Entscheidungen werden aber nicht von den mit Kapitaleignern und Arbeitnehmervertretern paritätisch besetzten runden Tischen gefällt, sondern von einer neutralen Person. Diese gute Praxis sei in der heute gültigen Montanmitbestimmung ja festgeschrieben.
 
Heute wollen die Menschen mehr Teilhabe an den politischen,gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen. Und sie entwickeln neue Werkzeuge für diese direktere Demokratie. Zum Beispiel mit der Hilfe der digitalen Medien – wie das Internet. Auch ein Paradigmenwechsel. Ein neues Mitbestimmungsmodel ist da nur konsequent.
 
Das geschieht aber nicht von allein. Die Menschen müssen es wollen. Sie müssen sich engagieren für eine veränderte Mitsprache. In den Betrieben ebenso wie in den staatlichen Administrationen. „Ich glaube nicht, dass der Kapitalismus das Ende der Geschichte ist. So kann es jedenfalls nicht weitergehen“, sagt Prof. Dr. H. J. Bontrup.
 
 
 
Ausgewählte Informationen und Quellen:
 
 
1)Oswald von Nell-Breuning: Kapitalismus und gerechter Lohn. 191 Seiten, Freiburg im Breisgau 1960. (Moraltheologe, Sozialphilosoph. geb. 1890 gest. 1991)
 
„In unserer Wirtschaft werden sowohl Konsumgüter als auch Kapital- und Investitionsgüter produziert. Die ersten gehen, wie der Name besagt, in den Verbrauch. Die Letzteren dienen langfristiger Nutzung. Wohnhäuser und dergleichen. Oder dienen selbst wieder der Produktion für Fabriken, Maschinen usw. An der Erzeugung beider Arten von Güter wirken die Arbeitnehmer mit. Für die Arbeitsleistung in diesen beiden Zweigen der Produktion zahlen die Unternehmer ihnen Arbeitslohn. Dieser Arbeitslohn erscheint in der Erfolgsrechnung der Unternehmer als Kosten. Verwenden die Arbeitnehmer nun den ganzen Arbeitslohn zum Kauf der geschaffenen Verbrauchsgüter, so heißt das: Die Unternehmen erhalten die ganze von ihnen als Kosten aufgewendete Lohnsumme zurück, und geben dafür aber nur die produzierten Konsumgüter ab. Die gleichzeitig mit dieser Lohnsumme neu geschaffenen Kapital- oder Investitionsgüter werden ihnen sozusagen gratis franko frei übergeben. Man könnte das auch so ausdrücken: Die Arbeitnehmer schenken dem Unternehmer die Kapital- oder Investitionsgüter und sind zufrieden, als Entgelt für ihre Leistung im Produktionsprozess denjenigen Teil der produzierten Güter zu erhalten, der die Konsumgüter bestimmt. Auf diese Weise werden die Unternehmer reicher und reicher und die Arbeitnehmer bleiben für immer Habenichtse.“
 
Eigentum und Verfügungsgewalt in der modernen Gesellschaft - Beitrag von Oswald von Nell-Breuning. 6 Seiten, Seite 473 bis 478. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. (Format: pdf)
 
 – von Friedhelm Hengsbach. Artikel vom 14. November 2008, Ressort: Kapital. In: Cicero, Online-Magazin für politische Kultur, Berlin
 
2)Marktliberalismus, Monetarismus. Ein Verfechter dieser Wirtschaftstheorie, der sogenannten Chicago-Schule ist der us-amerikanische Wirtschaftswissenschafter und Friedensnobelpreisträger von 1976 Milton Friedman, geb. 1912 gest. 2006.
Die Theorie besagt, dass die Inflation nur durch eine stetige Erhöhung der Geldmenge in einer Volkswirtschaft die Preise stabil halten könne. Es werden auf die sogenannten Selbstheilungskräfte des Marktes gesetzt. Insbesondere auf die globalen Kapitalmärkte und die Institutionen, die sich als sogenannte global player auf ihnen bewegen. Staatliche Eingriffe in diese Geld- und Wirtschaftspolitik werden abgelehnt. Seit den 1970er Jahren hat diese Politik die keynesianische Wirtschaftstheorie fast vollständig verdrängt. Milton Friedman war als Wirtschaftsberater für verschiedene Politiker tätig. Zum Beispiel für R.M.Nixon, R. Reagan („Reaganomics“) und M. Thatcher („Thatcherism“). Diese Politiker haben wesentliche Bestandteile seiner Wirtschaftsgrundsätze übernommen.
 
3)Der Keynesianismus (nach John Maynard Keynes, geb. 1883 gest. 1946, britischer Nationalökonom) mißt der staatlichen Wirtschaftspolitik eine große Bedeutung bei. Nicht zuletzt, um sich vor den negativen Auswirkungen der global agierenden Kapital- und Investitionsunternehmen behaupten zu können und Staatshaushalte wie Bevölkerung vor Überschuldung und Verarmung zu schützen.
Ist die Nachfrage gering, werden staatliche Ausgaben vergrößert oder Steuern und Zinssätze gesenkt. Und umgekehrt. Das daraus entstehende Gleichgewicht soll Vollbeschäftigung sichern, hohe Produktivität erhalten und gleichzeitig die Inflationsrate minimieren. J.F. Kennedy hat diese Keynesianischen Wirtschaftsgrundsätze in den 1960er Jahren ebenso angewandt, wie britische Regierungen, zuletzt im Jahre 1974. Auch in Deutschland hat der Wirtschaftsminister Karl Schiller in den späten 1960er Jahren diese nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik erfolgreich umgesetzt. Die im Jahre 2003 gegründete Keynes-Gesellschaft versucht seine Gedanken weiterzuführen.
 
Die Gewerkschaften beführten bis heute diese Keynesianische Wirtschaftspolitik.
 
Milton Friedman: Kapitalismus und Freiheit. Stuttgart-Degerloch 1971; München/Zürich 2004 (Originaltitel: Capitalism and Freedom. 1962)
 
Milton Friedman: Es gibt nichts umsonst. Warum in einer Volkswirtschaft jede Mark verdient werden muss. München 1979 (Originaltitel: Here’s no such thing as a free lunch. 1975)
 
John Maynard Keynes: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. München/Leipzig 1936; 11. verbesserte Auflage ebd. Berlin 2009
 
John Maynard Keynes: Politik und Wirtschaft. Männer und Probleme. Ausgewählte Abhandlungen. Tübingen 1956
 
 
Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim 2007
 
Kontroverse um eine Ausweitung der Mitbestimmung
Deutscher Bundestag. Dokumente und Textarchiv: Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zur Unternehmensmitbestimmung am 9.5.2011 in Berlin. Unter anderem mit Prof. Dr. Bontrup. Weitere Informationen siehe dort.
 
Links abgerufen August 2011
 

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