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Einige Hörbeispiele zur Auswahl (wird gelegentlich ergänzt)

 

Gebaute Interviews

Generalstreik?!

Generalstreik in Griechenland, in Spanien, in Frankreich und anderswo in Europa und in Übersee. Nur nicht in Deutschland. Da ist er verboten.

 

Generalstreik?!

 

Generalstreik?!
KurzFeature von Axel Gauster
© 2011 Axel Gauster
Online-Text, Foto und Sprecher: Axel Gauster
Länge: 14:30 Minuten
mp3pro; 8,71 MB
 

Generalstreik in Griechenland, Spanien, Frankreich und anderswo in Europa und Übersee. Nur nicht in Deutschland. Da ist er verboten.

Der Generalstreik wird auch mit dem Wort politischer Streik gleichgesetzt. Und es gibt einen großen Unterschied zwischen diesem und dem arbeitsrechtlichen Streik zur Durchsetzung von besseren Arbeitsbedingungen oder tariflichen Lohnerhöhungen. Der wird gewerkschaftlich organisiert und ist gesetzlich verankert. Der politische Streik hingegen will das Grundgesetz, das soziale Gefüge und die Demokratie vor Mißbrauch und Zerstörung schützen.
Es gibt seit dem 26. Februar 1965 die Europäische Menschenrechts- und Sozialcharta. Im Artikel 6 Ziffer 4 ist das Streikrecht für Arbeitnehmer und Arbeitgeber festgeschrieben: „... das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenskonflikten vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen.“
 
Der deutsche Bundestag hat diese Charta auch ratifiziert.
 
Am 3. Februar 1998 ermahnte aber das Ministerkomitee des Europarates die Bundesregierung. Sie solle die Expertenempfehlung berücksichtigen und das Streikrecht in Deutschland so anpassen, daß es nicht nur auf tarifliche Arbeitskämpfe beschränkt ist. Die bisherigen bundesdeutschen Rechtsnormen verstoßen gegen die Europäische Menschenrechts- und Sozialcharta.1)2)3)
Alle bisherigen Versuche, das Streikrecht gesetzlich zu verankern, blieben erfolglos.

Und dann gibt es noch die Internationale Arbeitsorganisation mit Sitz in Genf. Eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Sie legt in ihrem Übereinkommen Nummer 87 die Vereinigungsfreiheit und in Nummer 98 die Versammlungsfreiheit fest. Das Verbot von Streiks zum Schutz sozialer Errungenschaften oder demokratischer Verfassung gilt hier als eine schwere Verletzung dieser Übereinkommen.4)5)
Und so gilt: Streikrecht ist Richterrecht. Das heisst, die von einem Streik betroffenen Arbeitgeber können via Gericht eine einstweilige Verfügung beantragen und der streikorganisierenden Gewerkschaft per Gerichtsbeschluss untersagen, einen bestimmten Streik durchzuführen.
Ruft eine Gewerkschaft zu einem Generalstreik auf, so hat das weitreichende Konsequenzen. Da dieser Streik keine Rechtsgrundlage besitzt, können die von diesem "Protest" betroffenen Arbeitgeber und Organisationen Schadenersatz für die durch diesen Streik verursachten Schäden verlangen. Aber auch die an solch einem Streik beteiligten Beschäftigten haben mit Konsequenzen zu rechnen. Abmahnungen oder Kündigungen sind mögliche Folgen. Immerhin haben die am Streik beteiligten Menschen rechtswidrigerweise ihren Arbeitsplatz verlassen.

Die Gefahren eines politischen Streiks sollen aber auch nicht verschwiegen werden. Denn diese Proteste können auch ungeordnet vonstatten gehen oder ihr Ziel überhaupt nicht erreichen. Wodurch es dann in einer Gesellschaft zu chaotischen Zuständen kommt. Anarchie, Rache der Mächtigen aus Wirtschaft und Politik, sind mögliche Folgen eines gescheitern Generalstreiks. Zerfall der sozialen Strukturen und sich verschlechternde Arbeits- und Lebensbedingungen sind ebenfalls denkbare Auswirkungen. Nicht zuletzt ist dadurch auch die Demokratie an sich gefährdet.

Ein gutes Beispiel über die Auswirkungen eines gescheiterten Generalstreiks beschreibt der französische Schriftsteller Emile Zola in seinem Roman Germinal aus dem Jahre 1885.

Geschildert wird das Elend und die Unterdrückung von Bergarbeitern des nordfranzösischen Kohlereviers. Ihr Aufstand um das Jahr 1880 führt die menschliche Tragik dieser Proteste drastisch vor Augen. Der letztlich gescheiterte Aufstand vergrößert zudem die Kluft zwischen Reich und Arm und treibt noch größere Gräben zwischen den Klassen.6)

Wenn überhaupt ein rechtliche Regelung zum Generalstreik vorhanden ist, so am ehesten im Grundgesetz Artikel 9 Absatz 3 - die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“7) Hier ist allerdings nur der Begriff der Vereinigungsfreiheit geregelt. Das heißt, es können sich auch Gewerkschaften bilden, die ihrerseits unter anderem Streiks organisieren dürfen, um tarifvertragliche Abschlüsse herbeizuführen. Trotzdem ist auch dies alles Richterrecht beziehungsweise Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Eine weitere rechtliche Regelung befindet sich um Grundgesetz Artikel 20 Absatz 4 - das Staatsstrukturprinzip und das Widerstandsrecht: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“8) Wird die bürgerliche Demokratie angegriffen, so ist ein Widerstand gegen diesen Angriff möglich. Dazu zählen dann nicht nur der Kampfstreik, sondern auch der politische Demonstrationsstreik. Diese Maßnahmen sind jedoch nur in einer äußersten Notsituation möglich.9)

Und auch das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil zum KPD-Verbot im Jahre 1956 einen Anforderungskatalog aufgestellt, mit dem das Widerstandrecht verbunden ist.

Das Widerstandsrecht ist ein Notrecht, um die Rechtsordnung wiederherzustellen. Das bekämpfte Unrecht muss offenkundig sein.Die vorhandenen Rechtsmittel, die eine Rechtsordnung zur Verfügung stellt, sind wirkungslos – es bleibt nur der Widerstand als letztes Mittel, um das Recht zu erhalten oder wiederherzustellen.10)

Bereits in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte aus dem Jahre 1789 gab es die Bestrebung, das Widerstandsrecht zu verankern.

Die Erfahrung mit der Weimarer Republik 1918-1933 und dem Nationalsozialismus 1933-1945 bewogen die Staatsrechtler der bundesdeutschen Nachkriegszeit, das Widerstandsrecht in den jeweiligen Landesverfassungen und auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu verankern.
Im Jahre 1952 fand eine zwei Tage andauernder Proteststreik der Zeitungsdruckerein statt. Ziel: Die Verhinderung der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetztes durch den Bundestag. Dieser Protest gilt als ein politisch motivierter Streik in Deutschland.

Aber auch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts haben politische Proteststreiks das Leben der Menschen in Atem gehalten.

Ein klassisches Beispiel für einen Generalstreik war der sogenannte Kapp-Lüttwitz-Putsch am 15. März 1920.

Der erste Weltkrieg war zuende. Die Weimarer Republik gegründet und sie machte vorsichtige Schritte. Die gesellschaftlichen Verhältnisse aber waren nicht gefestigt. Vielfältige politische Strömungen erschwerten die ersten demokratischen Schritte. Hohe Reparationsverpflichtungen, die Reduzierung der Reichswehr auf 100.000 Berufssoldaten und die Auflösung der Freikorps im Rahmen des Versailler Vertrages belasteten die junge Demokratie. Der Krieg hatte viele Menschenleben gekostet. Diejenigen ehemaligen jungen Soldaten, die diesen ersten modernen und grausamen Krieg überlebten, waren traumatisiert oder körperlich versehrt. Außerdem kannten sie nichts weiter als Krieg. Im Alter von Mitte Zwanzig hatten sie keinen wirklichen Beruf erlernt und einen Teil ihrer jugendlichen Jahre nur menschliche Abgründe erlebt. Ohne wirkliche Orientierung fühlten sie sich in dieser neuen Demokratie verloren. Dies waren nur einige Probleme, denen sich die Weimarer Republik ausgesetzt sah.
 
Und so kam es zu dem sogenannten Kapp-Lüttwitz-Putsch am 15. März 1920. Ziel war die Zerstörung der Weimarer Republik und die Restauration einer Staatsform, die sich an nationalistischen und militärischen Grundlagen orientieren sollte. Aber auch zu einem Generalstreik, den der Allgmeine Deutsche Gewerkschaftsbund und der Allgmeine freie Angestelltenbund ausriefen. Und zwar am gleichen Tag. Ziel: Niederschlagung dieses Putsches gegen die junge Weimarer Republik und Schutz der Demokratie.
Zirka 12 Millionen Menschen folgten diesem Generalstreik.11) Der ja eigentlich auch ein politischer Streik war. Er wurde am 17. März 1920 beendet. Der Putsch scheiterte.
Die junge Arbeiterschaft forderte nun die Einlösung der Versprechungen der Weimarer Republik. Dazu gehörte die Teilhabe an den Betrieben und der Wirtschaftsdemokratie. Nachdem dies nicht erfüllt werden konnte, wurden die bereits aufgelösten, konservativen und den nationalsozialistischen Ideen folgenden Freikorps wieder eingeführt. Die militärische Gewaltanwendung dieser
Freikorps löste die Wünsche der zumeist jungen Menschen in Luft auf. Viele Menschen verloren dabei ihr Leben.

So hat dieser zuerst gelungene Generalstreik doch einen bitteren Nachgeschmack. So war die Demokratie zwar gerettet; die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen waren im Großen und Ganzen nicht erreicht worden.

Und das ist eben der Unterschied zwischen dem Generalstreik und einem tarifpolitischen Streik. Arbeitsniederlegungen verbessern die Arbeitsbedingungen; es werden Lohnerhöhungen durchgesetzt. Der Generalstreik – oder – der politische Streik will Grundgesetz, soziales Gefüge und Demokratie vor Mißbrauch und Zerstörung schützen. Niemand wünscht sich den Generalstreik. Und wenn die gesellschaftlichen Strömungen im Gleichgewicht sind und es – gerecht – zugeht – besteht dafür auch kein Grund.

 

 

Zum Thema Generalstreik liegen zahlreiche Informationen und Quellen vor.
Hier einige ausgewählte Dokumente, Schriften und Literaturen:
 
 
1)Däubler, Wolfgang, Prof. Dr.: Entscheidung des Ministerkomitees des Europarats.
In: Fachzeitschrift „Arbeit und Recht (ArbuR)“, Frankfurt am Main, Nr. 4/1998, Seite 144 ff.
 
2)Wilhelmy, Veit: Der politische Streik. Materialien zu einem Tabu. Frankfurt am Main 2008, Seite 15 und 39 ff.
 
3)Europäische Menschenrechts- und Sozialcharta - Amtliche Übersetzung Deutschlands. Turin, 18.10.1961. Abgerufen am 24. Feburar 2011.  (Europäische Kommission für Menschenrechte - Straßburg; seit 1998 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - Straßburg.)
 
4)Wilhelmy, Veit: Der politische Streik. Materialien zu einem Tabu. Frankfurt am Main 2008, Seite 9 und 42 ff.
 
5)Gemigon, Bernhard: International Labour Office Geneva. In: ILO Principles concerning the Right to strike, Genf 1998, Seite 11-16, 33 f., 55.
 
6)Zola, Emile (geb. 2.4.1840, gest. 29.9.1902): Germinal. Stuttgart 2010.
 
7)8)Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland -  zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.7.2010.
 
9)Wilhelmy, Veit: Der politische Streik. Materialien zu einem Tabu. Frankfurt am Main 2008, Seite 29 f.
 
10)Bundesverfassungsgericht (BverfG), vgl. Urteil 17. August 1956, 1_BvB_2/51 – KPD-Verbot – BverfGE_5/85.
 
 
 
Vor Neunzig Jahren - Generalstreik gegen den Monarchistenputsch. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Abgerufen am 25.2.2011.
 
Döhring, Helge (Hrsg.): Abwehrstreik... Proteststreik... Massenstreik? Generalstreik!
Streiktheorien und -diskussionen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie vor 1914. Grundlagen zum Generalstreik mit Ausblick. 1. Auflage, Lich 2009.
 
Haffner, Sebastian (geb. 27.12 1907, gest. 2.1.1999): Die Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914-1933. München und Stuttgart, 2000 (posthum).
 
Buschak, Willy: Von Menschen, die wie Menschen leben wollten. Die Geschichte der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und ihrer Vorläufer. 645 Seiten, fester Einband, Köln 1985.
 
 
Links abgerufen März 2011
 

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